NOT ENOUGH at Museum of Fine Art, Leipzig, Germany, 2018
Liebe ist kein Zustand
Ramona Schacht versucht mit »NOT ENOUGH« gar nicht erst dem Publikum ein Lösungsangebot zu machen. Sie ergründet in ihrer fotografischen Arbeit, wie Menschen ihre Beziehungen führen, welche Beziehungsformen es gibt, und wie sie funktionieren. Für diese Serie hat sie polyamorös lebende Paare fotografiert. Eingefrorene Momente aufgeriebener Gesichtsausdrücke – so zeigt sie Intimität in diesen Arbeiten. Eindrücke also, die nur kurz auftauchen. Wir nehmen sie selten an uns wahr, sondern sehen sie oft nur an unserem Gegenüber. Um sie einzufangen, ist Bewegungsunschärfe ein wichtiges bildästhetisches Mittel ihrer Arbeit. Dass damit die Festschreibung eines sich ständig verändernden Gefühls zur Bildsprache wird, ist für sie wichtiger als der reduziert-voyeuristische Blick auf Körperstellen, die gerade durch ihre individuellen Beschaffenheiten, –Brandmale, Risse, Falten – vom ästhetisch und gesellschaftlichen Idealbild abweichen. Ihre Bilder behalten dabei Blickwinkel und Ansichten für die Betrachter bereit, ohne zugleich eine „Instagram-Furcht“ vor den eigenen Narben in den Mittelpunkt zu stellen. Intimität und Liebe können hier immer Eigentum beider Seiten bleiben.
Love ist no status
In »NOT ENOUGH« Ramona Schacht isn’t trying to offer a solution to the viewer. In her photographic work she explores how people manage
their relationships, the types of interpersonal relationships which exist and how they work. For this series she photographed polyamorous couples. Intimacy is conveyed in these works through
frozen moments of worn facial expressions. Impressions that appear only briefly. We seldom notice them in ourselves, but often see them only in our counterpart.
To capture them, motion blur is an important tool in her work. For her, the fact that this becomes the codification of an ever-changing feeling for imagery, is more important to her, than the
reduced-voyeuristic view of parts of the body, which by their very individual nature - scars, burn marks, wrinkles - deviate from the socially normalized ideal.
Luca Bublic, Marcus Hurrtig
IT DEPENDS at Handstand und Moral, Leipzig, Germany, 2017
Schnelllebigkeit, Flexibilität, Veränderung, Oberflächlichkeit
Schlagwörter die den Zeitgeist der jungen Generation erfassen wollen. Noch nie zuvor standen jungen Menschen so viele Möglichkeiten offen wie heute. „Jung zu sein scheint ein hartes Los zu sein,
vor allem wenn man diese Lebensphase in einer westlichen Großstadt im 21. Jahrhundert durchleben muss“ sagt sie.
Über Millennials, liest man häufig Artikel, die paradoxerweise Arbeitsscheue und Unentschlossenheit beklagen, ebenso wie Karrierefixierung und den Drang zur Selbstoptimierung. Was
macht das mit unseren zwischenmenschlichen Miteinander?
Das ist die Ausgangsfrage die sich Schacht in ihrer Arbeit stellt.
Sie beobachtet und ergründet, wie zwischenmenschliches Leben konkret gelebt wird in Partnerschaften und in der Gemeinschaft, welche Veränderungen es in unserem Zusammenleben gibt und wie diese
von digitaler Kommunikation geprägt sind.
In ihrer Fotografie arbeitet Schacht vor allem mit Porträts in denen sie zwischenmenschliche Nähe untersucht, wie in ihrer Serie Jona. Hier
stellt Sie die Frage, in wieweit wir bereit sind Intimität zu offenbaren und wie sich diese in der Fotografie zeigen lässt. So wird der fotografische Prozess zu einem Miteinander, indem
sich ihrer voyeuristische Position als Fotografin auflöst.
Beziehungen und Formen des Zusammenlebens werden in ihrer Serien IT DEPENDS und Zeit ist in Träumen sonderbar oder
ihrer Videoarbeit LET'S NOTE thematisiert.
Schacht arbeitet meist mit Fotografie, Video oder Installation, die aus ihren Fotografien hervorgehen, diese entstehen sowohl analog als auch digital.
Ihre Werke lässt sie sich in ihren Ausstellungspräsentationen gegenseitig kommentieren, bringt die Arbeiten in immer wieder neue Kontexte miteinander und schafft eine Gegenüberstellung der
unterschiedlichen Themen ihrer Werke.
Formal arbeitet sie oft mit den gleichen Motiven in unterschiedlichen Formaten und hängt gerahmte Fotografien neben tapezierte oder mit Clips befestigt an die Wand. Damit schafft sie auch
innerhalb einer Arbeit eine Gegenüberstellung der einzelnen Fotografien, die den Betrachter zu einer intensiveren und differenzierten Auseinandersetzung anregen.
Ramona Schachts ältere Fotoserien, zeigen Arbeiterporträts bei denen Sie die Mensch von außen in ihrem Arbeitsumfeld wahrgenommen hat. Ihre aktuellen Arbeiten haben nun eine deutlichen Fokus auf
intimere Situationen und die Dokumentation zwischenmenschlicher Beziehungen und Lebensweisen.
Ihre Position als Fotografin hat sich dabei weg von einer voyeuristischen Beobachterin, hinzu einem wichtigen konzeptionellen Element ihrer Fotografie entwickelt, bei dem Sie Teil der
Intimsphäre ihrer Modelle wird.
Nora Bock, 2017
ZEIT IST IN TRÄUMEN SONDERBAR at Bistro21, Leipzig, 2017
IT DEPENDS at Kunstverein Rostock, 2017
JONA at Kunstverein Bad Doberan, 2017
Interesse am Menschen
In Ramona Schachts Arbeiten spielt das menschliche Porträt schon seit ihrer Studienzeit eine wichtige Rolle. Sei es in der Zeichnung, Malerei oder in der
Fotografie. Besonders eingeprägt sind S/W-Fotografien aus den Serien Menschenbilder oder Horst kommt, in den sie Personen in ihrem Arbeitsumfeld und ihrer landschaftlichen Verwurzelung zeigt. Sie sind berührend, nah, ohne Schnickschnack, aber mit tiefem Einblick in
das Lebenswerk der Porträtierten, das sich in ihren in die Kamera blickenden Gesichtern und der sie umfassenden Szenerie zeigt. Nach ihrem Wechsel nach Halle und dann nach Leipzig haben sich ihre
Fotografien verändert: es gibt nicht mehr ausschließlich Einzelporträts, die Bewegung wird Bildelement, sie konzentriert sich auf die Farbfotografie und verwendet z. T. deutlich größere Formate.
Die Fotografien zeigen nun ihr Interesse am Menschen als soziales Wesen, Nutzung, die Abkehr von der vielleicht zu starr konservierenden S/W-Fotografie und die Bewegungsunschärfe als zulässiger
Teil des Dokumentierens und als bildästhetisches Moment. Ramona Schacht untersucht fotografisch Themen ihrer Generation, die auch „Generation Maybe“ genannt wird. Einsamkeit wird sichtbar,
Unverbindlichkeit, Offenheit. Sie weist auf Beziehungsmodelle hin, die das Zusammenleben neu ausrichten, menschliche Möglichkeiten aber auch herausfordern. In den Serien wie „Die Selbstverwaltung
des Begehrens I und II“ oder „Jona“, Arbeiten aus letztgenannter Serie sind hier zu sehen, zeigt sie nicht mehr das idealisierte, auf das Gesicht konzentrierte, möglichst auf die Kamera frontal
ausgerichtete Porträt in einer repräsentativen Umgebung. Es geht mehr um Kehrseiten, Häuslichkeiten, Intimität. Ihre Protagonisten werden aus allen Winkel aufgenommen, im Ganzkörperporträt
sichtbar oder ungewöhnlich angeschnitten. Während ihrer Aufnahmen leuchtet sie ihre Modelle nicht aus, sie schafft eine vertraute Atmosphäre, sie dokumentiert sie in einer häuslichen Umgebung,
lässt Intimität und Schamgrenzen zu. In der Ausstellungspräsentation hängt Ramona Schacht zuweilen ein und dasselbe Motiv im Großformat neben ein Standardformat, um auch die Erwartungshaltung des
Betrachters an das Zusammenspiel von Inhalt/Grad der Intimität und einer Angemessenheit der Bildgröße zu hinterfragen.
Interest in humans
In Ramona Schacht's work, the human portrait has played an
important role since she was a student. Be it in drawing, painting or photography. Particularly
impressive are black and white photographs from the series Menschenbilder or Horst, in which she shows people in their work environment and their roots in the landscape.
They are touching, close, no frills, but with a deep insight into the lifework of the portrayed, which shows in their faces facing the camera and their comprehensive scenery.
After her move to Halle and then to Leipzig, her photographs have changed: there are no longer exclusively individual portraits, the movement becomes a pictorial element, she concentrates on
color photography and uses, for example, photography. T. significantly larger formats.
The photographs now show their interest in humans as a social being, their use, the departure from the perhaps too rigidly conserving black-and-white photography and the motion blur as a
permissible part of documenting and as an image-aesthetic moment. Ramona Schacht photographically examines topics of her generation, which is also called
"Generation Maybe". Loneliness becomes visible, non-binding, openness. It points to models of relationships that realign living together,
but also challenge human opportunities.
In the series such as "The Self-Administration of Desire I and II" or "Jonah", works from the latter series can be seen here, they no longer shows the idealized, focused on the face, preferably
on the camera frontal portrait in a representative environment , It's more about downsides,
domesticity, intimacy. Their protagonists are
photographed from all angles, visible in the whole body portrait or unusually cut. During
her shootings she does not light up her models, she creates a familiar atmosphere, she documents them in a home environment, allows intimacy and sheer boundaries.
In the exhibition presentation, Ramona Schacht sometimes hangs one and the same motif in large format next to a standard format in order to question the viewer's expectation of the interaction of
content / degree of intimacy and appropriateness of image size.
Susanne Papenfuß, 2016